Nicht groß, aber anders!
Vielleicht lässt sich die Rhön so in vier Worten charakterisieren. Wobei man vorsichtshalber das "anders" nicht unkommentiert und so ganz ohne erklärende Worte stehen lassen sollte. Die Rhön ist ganz ohne Frage eines der, wenn nicht DAS außergewöhnlichste Mittelgebirge in Deutschland. In der Summe ist es das Zusammenspiel von Erdgeschichte und Kultur- und Landschaftsgeschichte, das eine so einzigartige Mittelgebirgslandschaft und damit eine so einzigartige Kulisse für Wander- oder Mountainbiketouren hervorgebracht hat. Zwischen 200 Metern und etwas mehr als 900 Metern Höhe liegen die Trails im Rhöner Mountainbikerevier. Schon dieser Höhenunterschied von rund 700 Metern kann für die eine oder andere Überraschung sorgen. Während man in Bad Kissingen nach einer Runde auf dem Mountainbike im Biergarten sitzen kann, braucht man - nur etwas mehr als 15 Kilometer Luftlinie entfernt - noch Winterreifen, um eine der Berghütten in den Schwarzen Bergen zu erreichen. Das heißt aber auch, dass es 700 Meter höher angenehm warm ist, wenn es im Weinbauklima des Saaletals im August bereits ziemlich heiß ist. 700 Meter Höhenunterschied bedeuten über den Daumen eben sieben Grad Temperaturunterschied. Der Wind in den Höhenlagen tut sein Übriges dazu, um im Hochsommer auf der Mountainbiketour nicht zu überhitzen.
Die Grundlagen für das heutige Landschaftsbild und unsere Mountainbikestrecken wurden im Tertiär, vor rund 70 Millionen Jahren, geschaffen. Südlich von München falteten sich die Alpen auf, was im Norden von Bayern nicht unbemerkt blieb. Wobei man fairerweise sagen muss: Im Norden von Bayern, also in Franken, im Süden von Thüringen und im Osten von Hessen, denn jedes dieser Bundesländer beansprucht ein Stück Rhön für sich. Jedenfalls hat die Errichtung des Alpenhauptkamms auch im bayerisch-hessisch-thüringischen Dreiländereck für tiefgreifende Risse und Verwerfungen geführt, durch die Magma in die Deckgesteine von Muschelkalk, Buntsandstein und Keuper eindringen und diese durchdringen - quasi aufschweißen - konnte. Hatte das Magma einmal die
Erdoberfläche erreicht, bildete sie entweder eine großflächige Lavadecke aus oder - wenn das Magma etwas motivierter aus dem Erdinneren kam - ein Vulkanschlot, der Lava, Asche und Tuffe ausstieß. Da die vulkanischen Gesteine aber härter und widerstandsfähiger sind als die umgebenden Gesteine der Trias (damit man nicht immer Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper sagen und schreiben muss, hatte irgendwann irgendwer den klugen Gedanken, die drei einfach TRIAS zu nennen), entstand durch Erosionskräfte das heutige Landschaftsbild mit den typischen, an Vulkane erinnernden Kegelbergen und den langgezogenen Hochflächen. Dort verhinderten Deckenergüsse aus hartem Basalt die Verwitterung und Abtragung der darunterliegenden Gesteine.
Neben Vulkanismus und Erosion hat auch der Mensch seinen Teil dazu beigetragen, dass die Rhön zu so einem einzigartigen und wertvollen Natur- und Lebensraum wurde. Im Mittelalter wurde in der Rhön der Wald - wie eigentlich überall gang und gäbe - abgeholzt. Bergbau, Eisen- und Glashütten verschlangen Unmengen von Holz. Im Gegensatz zu anderen Mittelgebirgen wurden die Kahlflächen aber nicht mit der schnellwachsenden Fichte aufgeforstet. Versucht hat man es mancherorts, hier und da stellte sich begrenzter Erfolg ein, doch im Wesentlichen wussten Wind und Wetter eine Wiederbewaldung der Rhön zu verhindern. Und wagte sich doch mal ein Baum über die Grasnarbe hinaus, wurde er garantiert von den inzwischen reichlich vorhandenen Schafen und Ziegen abgefressen. Im Nachhinein betrachtet, hätte der Rhön nichts Besseres
passieren können. Wanderern und Mountainbikern aber ebenso! Nur durch ein paar Zufälle, verteilt auf ein paar Millionen Jahre, können wir heute mit dem Mountainbike in einer Landschaft unterwegs sein, wie man sie so in Deutschland kein zweites Mal vorfindet. Der stete Wechsel von ursprünglichen Wäldern und weiten, offenen Bergwiesen oder parkähnlichen Heckenlandschaften machen die Rhön so einzigartig. Und dann sind da natürlich die waldfreien Berggipfel und Kuppen, die einmalige, bis zu 100 Kilometer weit reichende Aussichten in das Rhöner Vorland oder zu den benachbarten Mittelgebirgen wie Spessart, Taunus, Steigerwald oder den Thüringer Wald bieten.
Die Einzigartigkeit der Rhöner Natur bedingt natürlich auch deren ganz besondere Schutzwürdigkeit. Die Rhön ist als ein Hotspot der Biodiversität anerkannt und Lebensraum für eine Vielzahl seltener, vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Die Rhön beheimatet zudem einige endemische, das heißt nur hier in der Rhön und sonst nirgends auf der Welt (!) vorkommende Tier- oder Pflanzenarten. Vermutlich wird man auf einer Tour durch die Rhön keiner dieser seltenen Arten begegnen - zumindest nicht bewusst. Bedeutet aber nicht, dass das, was ich nicht sehe, nicht trotzdem da ist. Viele seltene Pflanzenarten sind empfindlich gegen Tritt und Befahrung; viele seltene Tierarten mögen keine Störungen, auch keine einmaligen. Deshalb sollte es für jeden, der in der Rhön und ihrer Natur unterwegs ist, selbstverständlich sein, sich mit den Wander- oder Mountainbikewegen "zufriedenzugeben", die ausgeschildert sind. Es sind - schon um dem Forscherdrang einiger Komoot-Nutzer den Wind aus den Segeln zu nehmen - bestimmt nicht die schlechtesten Wege, auf die die Mountainbikestrecken gelegt wurden. Und den unentdeckten Rest kann man getrost der Natur überlassen. Soll ja alles noch ein paar Millionen Jahr halten!